Eine kleine Einführung in die Bindungslehre des Webens

Um zu verstehen, warum welcher Stoff für welche Anwendung geeignet  ist, war es für mich sehr erhellend, einige Grundprinzipien des Webens zu verstehen.  Es ist logisch, dass ein Zusammenhang zwischen der Art und Weise, wie ein Stoff gewebt wurde und seinen späteren Eigenschaften besteht – nur welcher? Dies ist eine kurze Einführung in diese vor Jahrtausenden erfundene Handwerkskunst.

Bei einem Gewebe wird die Stofffläche von zwei Fadensystemen gebildet, indem  sich diese rechtwinklig kreuzen. Die längs verlaufenden Fäden sind die Kettfäden, während die Schussfäden quer dazu verlaufen und sich dabei in fester Ordnung über und unter die Kettfäden legen. Die Verkreuzung der Fäden bewirkt also den Zusammenhalt, so dass ein Gewebe entsteht.  Die Art und Weise, wie sich die Fäden überkreuzen, wird Bindung genannt und bestimmt unter anderem die späteren Eigenschaften des Stoffes. Daneben ist jedoch auch die Anzahl der eingezogenen Fäden in Längs- und Querrichtung  sowie ihre Beschaffenheit von Bedeutung. Die Art der Bindung sowie die Eigenschaften und die Anzahl der Kett- und Schussfäden bestimmen wesentlich den Charakter eines Gewebes.

Leinwandbindung

In der Leinwandbindung findet sich die einfachste Art der Fadenverkreuzung von Kett- und Schussfäden, „eins drüber- eins drunter“ in jeder Richtung. Sie ist gleichzeitig auch die engste und festeste Art der Verkreuzung. Durch die hohe Zahl dieser Bindungspunkte ist die Möglichkeit, mehr Fäden auf einer Fläche unterzubringen, relativ begrenzt, denn das Gewebe fühlt sich sonst hart und brettig wie Segeltuch an. Andererseits verleiht die enge Fadenverflechtung bei entsprechend hoher Fadenzahl eine hohe Scheuer- und Schiebefestigkeit des Gewebes. Das Erscheinungsbild des Gewebes ist auf beiden Seiten gleich. Es gibt allerdings auch Abwandlungen der Leinwandbindung, die dann zu unterschiedlichen Stoffseiten führen können:

Ripsbindung: Diese Bindung entsteht, wenn die Leinwandbindung so verändert wird, dass entweder in Kett- oder in Schussrichtung jeweils mehrere Fäden des anderen Fadensystems übersprungen werden, also z.B. „zwei drüber – eins drunter”  oder „eins drüber – drei drunter“. Ripsgewebe haben eine sehr dichte, geschlossene Struktur, da das eine Fadensystem das andere fast ganz abdeckt.

Panamabindung: Bei der Panamabindung laufen sowohl die Kett- als auch die Schussfäden teilweise über mehrere Fäden des anderen Fadensystems. Es entsteht jedoch insgesamt kein diagonaler Grat wie bei der Köperbindung, da die Verkreuzungspunkte hier nicht  in jeder Reihe diagonal versetzt werden. Das Bindungsbild ergibt stattdessen Quadrate. Daher wird die Panamabindung auch Würfelbindung genannt.

Köperbindung

Bei der Köperbindung gibt es weniger Verkreuzungspunkte zwischen Kett- und Schussfäden, nicht jeder Faden bindet gegen seinen nächsten wie bei der Leinwandbindung. So können sich Kett- und Schussfäden dichter zusammenschieben. Köpergewebe sind, bei vergleichbarem Material und vergleichbarer Einstellung, fließender, lockerer und schmiegsamer, aber auch dicker als leinwandbindige.

Bei der Grundbindung des Köpers läuft ein Schussfaden unter zwei Kettfäden und dann über den nächsten Kettfaden, dann wieder unter zwei Kettfäden u.s.w. In der nächsten Reihe verschiebt sich der Bindepunkt um einen Kettfaden, dadurch entsteht ein diagonaler Grat, entweder von rechts unten nach links oben (S-Grat) oder von links unten nach rechts oben (Z-Grat). Es gibt viele Abwandlungen des Köpers, die dann zu unterschiedlichen Eigenschaften des Gewebes führen. Die Kett- oder Schussfäden können auch jeweils mehrere Fäden des jeweils anderen Systems überspringen, bevor sie auf die andere Seite kreuzen. Je mehr Fäden vor der Verkreuzung übersprungen werden desto ausgeprägter sind die typischen Köpereigenschaften. Ein Köpergewebe kann auf beiden Stoffseiten gleich aussehen, dann ist die Anzahl der übersprungenen Fäden auf beiden Seiten gleich. Es gibt jedoch auch den ungleichseitigen Köper, dann sind je nach Köperbindung auf der Gewebeoberseite entweder mehr Schuss- oder mehr Kettfäden zu sehen. Bei ungleichseitigen Köpern werden Kettköper und Schussköper unterschieden.

Kettköper: Die Gewebeoberseite wird vorwiegend von den Kettfäden gebildet. Die Kettfäden laufen also jeweils über zwei oder mehrere Schussfäden und dann unter den nächsten Schussfaden.

Schussköper:  Die Gewebeoberseite wird vorwiegend von den Schussfäden gebildet. Hier laufen also die Schussfäden jeweils über zwei oder mehrere Kettfäden und dann unter dem nächsten Kettfaden u.s.w.

Es gibt viele Ableitungen der Köperbindung und dadurch auch unzählige Mustermöglichkeiten. Eine Möglichkeit der Köpervariation ist die Änderung der Gratrichtung. Diese treten vor allem dann deutlich hervor, wenn die Kett- und Schussfäden unterschiedliche Farben haben. Sie haben traditionell sehr bildhafte Namen wie Fischgrat, Diamantköper, Rosengang, Waffelbindung, Vogel- und Pfauenauge.

Atlasbindung

Bei der Atlasbindung berühren sich die Verkreuzungspunkte zwischen Kett- und Schussfaden (Bindungspunkte) gar nicht. Das bedeutet, dass die Fadenverkreuzungen jeweils erst zwei oder mehrere Kett- und Schussfäden entfernt liegen. Daher können sich die Fäden dicht zusammenschieben und verdecken die Bindungspunkte fast ganz oder ganz. Die Fadendichte bei Atlasgeweben, also die Anzahl der Kett- und Schussfäden,  ist daher gegenüber den Leinwand- und Köperbindungen höher. Die Gewebe haben dementsprechend Schmiegsamkeit und Fülle. Die Bindung lässt den natürlichen Glanz des Materials zur Geltung kommen, da nur wenige Bindungspunkte die Reflexion des Lichtes unterbrechen.

Handelsbezeichnungen für Stoffe

Gewebe in Leinwandbindung: Batist, Popelin, Rips, Voile, Taft, Crepe de Chine, Cretonne, Etamine, Fresko

Gewebe in Köperbindung: Jeansstoff (Denim), Gabardine, Twill, Drell, Fischgrat, Schottenstoff

Gewebe in Atlasbindung: Damast, Satin, Duchesse, Crepe Satin